Sonntag, 18. März 2007

Verloren im tiefen Wald

So, nun bin ich also drin im Marathontraining. Huch, wie kam es denn bloß dazu ?! :o)
Heute hatte ich mir vorgenommen, lang zu laufen, aber doch nicht zu lang, weil ich letzten Sonntag schon 27 km gelaufen war und am Freitag aus geplanten 12 Kilometern dann auch wieder 17 km wurden. Hach, es ist schlimm, ich krieg einfach nicht genug im Moment ! *g*
Ich hab mir auf meiner Karte eine schöne Strecke ausgesucht, die mich auch viel durch schöne versteckte Waldwege führen würde, die ich ohne diese Karte gar nie gefunden hätte.
Trotz heftigstem Wind lief ich guter Dinge los, fest entschlossen, mir von den sturmartigen Böen nicht die Laune verderben zu lassen. Immerhin regnet es nicht, dachte ich mir. Es ging zum Lac de Pont, von da aus durch den Wald nach Montigny-sur-Armançon, dann kam eine schöne Runde, die ich mit Charly schon einmal gelaufen bin: Brianny, Roilly, unser schönes Flée. Der Wind dachte gar nicht daran, mit dem wilden Gepuste aufzuhören, aber mir ging es gut. Nach Flée wollte ich dann Neuland erkunden: ich hatte auf der Karte einen schnurgeraden Weg gefunden, der mich durch einen Wald und über eine große Wiese zurück nach Semur führen sollte. Teilweise sah es auf der Karte zwar schon so aus, als könne man diesen Weg nur noch mit sehr viel Fantasie "Weg" nennen, aber ich hatte ihn mir neonrosa angemalt und ihn so zumindest auf der Karte zu einem richtigen Weg gemacht, und in Wirklichkeit würde das schon auch machbar sein, ich würde das schon finden, wär doch gelacht. Ich lief also in den Wald hinein und war begeistert. So ein schöner Wald ! Hätte ich doch ohne meine schlaue Karte nie gefunden ! Meine Begeisterung bekam einen kleinen Dämpfer, als auf einmal der Regen einsetzte. Aber so richtig. Platsch, platsch. Hmpf, das hätte es zu dem Wind dazu nun echt nicht gebraucht. Ich war sehr schnell so richtig durchnäßt, lief aber weiter in den tiefen Wald hinein. Ich dachte kurz an Wildschweine und daß die doch im Moment gerade ihre Jungen kriegen und dann doch bestimmt sehr aggressiv sind, wenn sie so einen ahnungslosen Hasen durch den einsamen Wald hoppeln sehen - ? Nein, Hase, positiv denken, du wirst keinem Wildschwein begegnen.
Irgendwann passierte dann das, was ich befürchtet hatte - der Weg hörte auf. Da war einfach kein Weg mehr, nur noch Wald. Aber auf meiner Karte hebt sich der Weg doch so schön neonrosa ab ? Hmpf, einfach geradeaus weiter, das wird dann wieder zu einem Weg, bestimmt. Aber zunächst hieß es für mich erst mal, mich durch Gebüsch und Geäst und dornige Sträucher kämpfen. Ich hatte mit dem Laufen aufgehört, das war nicht mehr möglich, ich ging jetzt. Ich hatte auch schon über 20 km in den Beinen und das Gehen (bzw. Stolpern) war eine ganz willkommene Abwechslung. Dann stand ich vor einem Bach. Der war nicht sehr breit, also hüpfte ich drüber. Ich duckte mich unter tiefhängenden Ästen hindurch, es ging bergab, bergauf, über Stock und Stein, und eigentlich hätte ich mir längst eingestehen müssen, daß ich hier nie wieder einen so bilderbuchhaften neonrosa Weg wie den auf meiner Karte finden würde. Aber dazu war ich zu trotzig, also kämpfte ich mich weiter vor. Dann stand ich vor einem Stacheldraht. Kletterte drüber. Irgendwann war ich draußen aus dem Wald und stand auf einer riesengroßen Wiese. Aber immer noch überzeugt davon, daß ich mich in Semur wiederfinden würde, wenn ich nur konsequent weiter geradeaus ging. Auf der Wiese konnte ich auch nicht laufen und mußte gehen, es war matschig, außerdem waren überall ziemlich große Löcher, in die es nicht hineinzutreten galt. Irgendwann war ich wieder an einem Abhang, hangelte hinunter, stand wieder vor einem Bach, der war schon breiter als der andere, aber naß war ich eh, also drüber, dann ging es wieder einen steilen Hang hoch und ich stand wieder vor einem Stacheldraht. Kletterte drüber. Und jetzt, erst jetzt, gestand ich es mir ein:
Mann, Hase du hast dich hoffnungslos verfranst. Du hast keine Ahnung, wo du bist. Was machst du jetzt ?
Ich war eigentlich immer noch überzeugt davon, daß das geradeaus-Gehen mich wieder in die Zivilisation zurückbefördern würde, als ich auf einmal von weitem eine Kuhherde sah. Nein, ich sah nicht einfach nur eine Kuhherde, ich sah eine Kuhherde, die mit vollem Karacho auf mich zustürmte. Ohne Witz ! Sowas hab ich noch nie gesehen. Ihr glaubt gar nicht, wie schnell ich wieder auf der anderen Seite des Stacheldrahts war :o)
Die Kuhherde stand jetzt vor mir und glotzte mich an. Nur der Stacheldraht trennte uns. Ein Stier war auch dabei, deswegen war es für mich völlig klar, daß dieser eventuelle Heimweg jetzt für mich gegessen war. Dafür hab ich einfach zuviel Respekt vor Stieren. Irgendwann wurde es mir das Geglotze zu blöd - was die mich anglotzen konnten ! Klar, viele Menschen kamen hier nicht vorbei, das hatte ich auch schon festgestellt -, und ich hob abrupt beide Arme. Ha, das war ein Spaß ! Die gesamte Kuhherde mitsamt dem Stier machte einen solchen Satz in die Höhe, daß ich fast lachen mußte, wäre ich nicht so verzweifelt gewesen.
Was sollte ich denn jetzt machen ? Ich hatte mich total verirrt !! Ich konnte nicht mehr vorwärts - wegen Monsieur le Stier - und konnte ich zurück ? Ich wußte doch nicht, ob ich den "Weg" (ha ! Guter Witz !), den ich hergekommen war, überhaupt wieder finden würde. So ganz nebenbei möchte ich noch erwähnen, daß es natürlich nach wie vor windete und regnete wie aus Kübeln. Ich entschloß mich, kehrt zu machen. Was blieb mir auch anderes übrig ? Und dann erst begann meine echte Verzweiflung. Ich hatte keine Ahnung mehr, von wo ich hergekommen war. Ich war völlig orientierungslos. Ich wußte nicht, wo ich hergekommen war, wo ich hinmußte, wo ich war - ich wußte nur, daß ich durchnäßt war und fror. Das war gruselig. Ich hatte Angst, ich war panisch. Ich sag's euch ehrlich, ich war drauf und dran, mich genau hier mitten auf der Wiese am Waldrand hinzusetzen, zu weinen und zu wimmern, "Charly, hooool mich !!" Zum Glück war ich noch soweit bei Sinnen, daß ich wußte, daß mich das nicht weiterbringen würde. Und bis der Hasenrettungshubschrauber kommen würde, das konnte dauern. Also suchen. Ich graste verzweifelt den Waldrand ab, immer hoffend, daß ich die Stelle Stacheldraht, über die ich geklettert war, wieder finden würde. Es hat gedauert. Es hat sehr lange gedauert. Ich bestreite nicht, daß ich sehr verzweifelt war. Aber ich habe die Stelle wieder gefunden.
Dann wieder zurück, durchs Geäst, durch die Dornen, Berg runter, Berg rauf, über die zwei Bäche, über den weiteren Stacheldraht, alles nicht laufend, sondern gehend, bis ich endlich wieder an meinem ursprünglichen WEG war, der dann auf einmal keiner mehr sein wollte und mich so in die Bredouille gebracht hatte. Was für ein Glücksgefühl. Ich sah auf die Uhr - ich hatte jetzt ca. eine Stunde gehend und suchend verbracht, im strömenden Regen. Jetzt wollte ich nur zurück zu der Straße, die mich sicher zurück nach Semur geleiten würde, auch wenn das einige Kilometer Umweg bedeutete. Ich fand sie und lief - jetzt wieder voller Energie, ich war zurück in der Zivilisation, Autos überholten mich, ich mußte nicht den Rest meines Lebens im tiefen Wald verbringen und mich von Wurzeln und Beeren und erlegten Kühen ernähren, ich durfte heimlaufen, auch wenn das jetzt noch über sechs Kilometer waren !
Als ich zuhause ankam, war ich 4 Stunden und 10 Minuten unterwegs gewesen. Gelaufen bin ich 26 km (der ganze Irrweg ist da nicht mit dazugezählt) in ca. 3 Stunden.
Ich war wirklich erleichtert, freute mich wie blöd auf meine heiße Dusche und dachte mir nur noch, na ja, viel schlimmer als dieser Alptraum kann der Marathon auch nicht werden, so rein mental ;o)))

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Meine Güte. Das ist ja echt hart gewesen mein Hase. Du machst aber auch was mit.
Ich kanns dir nachfühlen, du schaust in alle Himmelsrichtungen und keine Spur von Zivilisation.
Ich glaubs dir, dass du da verzweifelt warst. Und dazu noch das blöde Wetter.
Schön, dass es dir gut geht.
Kussi

Anonym hat gesagt…

Ach du grüne Neune ! Also durch die Herde wäre ich auch nicht gelaufen, nee niemals. Aber ich kann mir vorstellen wie das ist, wenn so langsam alle bekannten Wege, Kreuzungen einfach nicht mehr vorhanden sind. Deswegen habe ich auch immer ein Handy dabei, nicht das es mir was nützen würde, aber ich kann dann immer noch meinen letzten Willen durchsagen :-)

Anonym hat gesagt…

Sag mal! Bist Du sicher, dass Du zurzeit im Marathon-Training bist. Klingt eher nach Survial-Training³.
Ich wäre auch panisch geworden so mitten in der Botanik. Ich bewundere es sowieso, dass Du so einfach mit Karte losziehst und durch die Wälder streifst.

Hoffentlich träumst Du heute nacht nicht von Kuhherden ;)
Gute Erholung!

Michi

Anonym hat gesagt…

Oh, wie furchtbar! Hase , ich wäre wirklich verzweifelt! Und man kühlt doch dann so leicht aus beim Gehen!!! Pass bloß auf, ich hoffe, Du hast es jetzt warm im Hasenstall.
Physisches und Psychisches Survivaltraining war das auf jeden Fall, Menechenskinder, Du machst sachen!
Gut, dass es glimpflich ausgegangen ist und Du den Heimweg gefunden hast. Aber nächste Woche lauf' bitte nur in der Zivilisation, versprochen?
Geschockte Grüße
Manu

Anonym hat gesagt…

Mein lieber Herr Gesangsverein, ich bin auch geschockt. Da kriege ich ja Gänsehaut, was du für Sachen machst.
Ist ja schön, das mit Deiner unberührten Natur, mein Schatz, aber ein kleines bißchen berührter ist sie mir persönlich für Dich lieber........
Bussis
Mama

Hase hat gesagt…

Hach, ihr seid lieb, ihr alle :)
Danke für euer Mitgefühl, das tut gut.
Als ich gestern abend in mein kuscheliges Hasenbett gekrochen bin, war ich aber schon sehr erleichtert, nicht neben dem Stacheldraht bei den Kühen schlafen zu müssen ;)

Martin - der mit dem "letzten Willen" war gut !! *lol*

Anonym hat gesagt…

ach du Ärmste was du alles mitmachst ,zeigst halt beim nächsten mal Charly die selbe Strecke ,aber du erlebst halt etwas auch nicht schlecht
der letzte Wille war auch gut
lauter nette Leute
gruß Margarete

Blumenmond hat gesagt…

Mensch Hase, Du machst Sachen. Lass uns mal die Laufgebiete tauschen. Hier kannst Du keine 3m rennen ohne Zivilisation zu sehen. Und ich kann nicht so weit laufen wie Du und verirr mich deswegen vielleicht nicht so schnell.

Anonym hat gesagt…

Also Kerstin, dein Marathontraining ist ja alles erste Sahne.
Charly hätte dich auch nicht gefunden, der veriirt sich doch auch immer wieder! ;-)))