Sonntag, 14. Oktober 2007

Mein 3. und schönster Semur-Halbmarathon

Hach, was ist das Leben schön. Hach, was geht's mir gut. Hach, was bin ich einfach nur happy.

Vor einer Woche war ich mir noch nicht sicher, ob ich ihn mitlaufen würde, den Halbmarathon von Semur, der jedes Jahr im Oktober stattfindet. Schließlich ist der Berlin-Marathon ja gerade mal zwei Wochen her. Aber jeder Tag, der verstreicht und an dem es mir gut geht, lässt mich ein bisschen sicherer werden - klar lauf ich ihn mit, meinen Semur-Halbmarathon. Geht doch nicht, dass ich einen HM vor der Haustüre hab und den nicht mitlaufe. Ich werd ihn halt gemütlich laufen, aber dabeisein will ich. Außerdem habe ich schon zwei Weingläser aus den beiden vergangenen Jahren in meinem Regal stehen, und das von 2007 darf in der Sammlung auf keinen Fall fehlen.
Gestern abend mache ich dann eine einigermaßen erstaunliche Feststellung: ich bin aufgeregt. Häh? Was'n nu los? Vor dem Berlin-Marathon nicht die Spur nervös sein, und vor einem popeligen Halben (mein 8. insgesamt) bin ich aufgeregt? Nun, ich nehme es einfach so hin, wie es ist, vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen. Wie auch immer, ich werde ihn gemütlich laufen, einfach nur zur Freude und für mich selbst.
Um zehn ist der Start, um neun Uhr gehe ich zur Startnummernausgabe und stelle fest, dass an dem Tisch, an dem die Startnummern für den 9,4-Kilometer-Lauf ausgegeben werden, eine richtig lange Schlange ist, und dass an dem Tisch für die Halbmarathonis kein Mensch ansteht. So glei. Ich steuere also auf den Monsieur zu und sage ihm meinen Namen. Er sieht mich freundlich an und sagt, "hier gibt es nur die Startnummern für die 21 Kilometer. Die 9,4 Kilometer sind da drüben." Ich bin perplex. "Aber ich laufe doch die 21 Kilometer, deswegen bin ich hier!" - "Sind Sie sicher?" - "Ja, ich bin sicher!!" (Also sowas!! Frechheit! Und das einem Marathon-Hasen!) Er schaut in seiner Liste nach und findet (natürlich) meinen Namen. Ich mache mir über diesen Vorfall keine weiteren Gedanken und mische mich unter die Menge, wo ich meinen Arbeitskollegen treffe, der die 9,4 km heute "ganz gemütlich" in 36-38 Minuten laufen will, wie er sagt. Ja, scho recht. Seine Freundin ist so nett und bewahrt mein langärmeliges Shirt für mich auf, das ich trotz Fröstelns beschließe auszuziehen - auch wenn ich gemütlich laufen werde, so weiß ich doch, dass mir warm werden wird.
Der Start ist für Halbmarathonis und 9,4-km-Läufer gleichzeitig, und so reihe ich mich ein in den Pulk und stelle mich ganz hinten hin, ich sehe fast nur 9,4-Startnummern um mich herum und habe keinerlei Lust, gleich von denen überrannt zu werden. Peng, es geht los, ich laufe, ich laufe inmitten lauter 9,4-Kilometer-Leuten, und es fühlt sich gut an. Öhm, "gemütlich" ist dieses Tempo aber nicht unbedingt, Hase. Na ja, mal sehen, das können wir ja später noch korrigieren. Bei Kilometer 2 ist das erste Kilometerschild, ich schaue auf die Uhr und kriege einen Schreck. Öhm. Moment mal. Hase, so geht das nicht, du bist viel zu schnell. Ich bin die ersten zwei Kilometer in exakt 10 Minuten gelaufen!! Das ist ein Halbmarathon und kein 5-Kilometer-Rennen! Aber ich mache nicht wirklich langsamer. Das können wir ja später immer noch sehen.
Was mich sehr amüsiert: ich laufe diesen Halbmarathon nun bereits zum drittenmal mit, ich kenne jeden Meter, den ich ablaufe, und doch bin ich absolut nicht imstande, mir die Streckenführung für die ersten 10 Kilometer zu merken. Es geht kreuz und quer durch Semur, immer wieder andere Schleifen laufen wir, mir wird ganz schwindlig und ich bin den Ordnern sehr dankbar, dass sie uns sagen, wo wir hinlaufen müssen. Zweimal laufen wir durch die Fußgängerzone, beide Male aus entgegengesetzten Richtungen kommend, und ich sage nur Kopfsteinpflaster. Aufpassen, nicht umknicken mit den Pfoten! Als ich bei meinem Bäcker vorbeikomme, freue ich mich, denn da steht meine Freundin Audrey, mit ihrer süßen kleinen Orane, und sie winken mir beide zu. Sie ruft mir noch nach, "tu as l'air fraîche comme une rose!" (Du siehst frisch wie eine Rose aus!), und schon bin ich weg. Jetzt geht es den Berg hinter unserer Pizzeria hinunter, und ich sage jetzt wirklich ganz insistent HOLPRIGSTES KOPFSTEINPFLASTER - pass auf deine Knöchel auf, Hase, denn dieses Kopfsteinpflaster ist wirklich noch original aus dem Mittelalter, mindestens. Bei km 5 bin ich bei 27 Minuten, ich finde mich eigentlich immer noch viel zu schnell und vergesse auch nicht, dass ich noch 16 Kilometer vor mir habe, aber was soll's. Ich sage auch ganz ohne Schadenfreude, dass es Spaß macht, eine ganze Reihe von 9,4-Läufern zu überholen.... und ich denke an letztes Jahr, wo es mir nicht gut ging, und ich fange an, dieses Rennen richtig zu genießen. Ich nehme mir vor, zumindest meine Zeit vom letzten Jahr zu verbessern, da bin ich 2:10 gelaufen.
Die Zeit von 2005 kommt mir absolut utopisch vor - da habe ich es in 2:03 geschafft, und der Semur-HM ist alles andere als flach, da sind ein paar richtig schöne ordentliche Berge drin.
Also, irgendwas unter 2:10 wäre schön.
Ich freue mich mittlerweile des Lebens, es geht jetzt den Berg an der Stadtmauer entlang hinunter zum Flüsschen Armançon, und aus irgendeinem Lautsprecher schallt in voller Dröhnung die italienische Version von Ti Amo. Schlager sind beim Laufen gar nicht mal das Schlechteste, stelle ich fest, und grinse mir eins. Ich bin eigentlich ständig am Grinsen, bedanke mich bei allen Zuschauern, die mich anfeuern, und bei allen Ordnern, die mir so nett den Weg zeigen. Ich laufe am Armançon entlang und weiß, dass sie jetzt gleich kommt - die berühmt-berüchtigte Ruelle Trémy. Das ist eine richtige Semurer Wand, eine Straße, die so steil ansteigt: / Ich übertreibe nicht. Und wie jedes Jahr befinden sich hier die meisten Zuschauer - die Leute sind im Grunde ihres Herzens einfach Sadisten, oder nicht? Ich überhole einige, die hier am Gehen sind (ihr seids wohl keine Semurer, was?), keuche dann nicht schlecht, als ich oben ankomme, laufe an meinem Hasenstall vorbei, bin überhaupt nicht versucht, einfach heimzugehen, und laufe zum ersten Mal durchs Ziel - die 9,4 km sind schon mal geschafft. Ich muss über ein kleines Mädchen lachen, das mir den Daumen nach oben zeigt und sagt, "allez, plus qu'une petite boucle!" (Los, nur noch eine kleine Runde!) Na die wird es wissen! Mein Arbeitskollege ist natürlich schon lange da und feuert mich an, und ich sage zu ihm, "ich bin viel zu schnell, ich kann das Tempo auf keinen Fall halten." Er sagt nur, red nicht, lauf, na gut, und dann passiere ich die 10-km-Marke. Ich schaue auf die Uhr - 57 Minuten. Spätestens jetzt wird mir klar, dass das heute mit dem "gemütlichen HM" wohl nicht wirklich hinhaut. Und nun ist das Durchstreifen von Semur beendet, wir laufen aus Semur raus, auf die altbekannte St-Euphrône-Runde, die ich auch blind laufen könnte, so gut kenne ich sie. Zuerst geht es in Richtung Lac de Pont, und hier ist der nächste Berg. Es geht fast einen Kilometer lang steil bergauf, und ich überhole zwei Läufer (ihr seids wohl keine Semurer, was?). Jetzt haben wir Gegenwind, aber richtig. Oben an der Kuppe nutze ich eiskalt einen Läufer aus, der direkt vor mir in meinem Tempo läuft und mir bergab wunderbar Windschatten spendet. Als wir unten ankommen und der Wind weniger wird, überhole ich ihn und bedanke mich für seine Hilfe. Böse - aber er lächelt mich an und sagt, kein Problem. Jetzt geht es nach links weg in Richtung Pont-et-Massène, und es geht wieder steil bergauf. Ich ermutige mich selbst, indem ich mir sage, dass mir das nichts ausmacht, weil ich das doch alles kenne. Und das hilft wirklich. Es läuft einfach. Ich laufe durch St. Euphrône, schaue bei km 15 wieder auf die Uhr - 1 Stunde 27. Ich freue mich, ich laufe wunderbar regelmäßig und nehme mir einfach vor, so weiterzulaufen. Und es geht. Bei Kilometer 17 fällt mir auf einmal auf, dass ich schon seit Beginn des Laufes das wunderschöne Lied "9 million bicycles" von Katie Melua im Kopf habe, und ich freue mich darüber, denn das ist Charlys und mein Lied, ein traumhaftes Liebeslied, und es entschädigt mich ein bisschen für die Tatsache, dass Charly auch beim 3. HM in Semur leider wieder nicht dabeisein konnte. Kilometer 18 ist in Villenotte, und ich nähere mich unaufhaltsam meiner geliebt-gehassten Allee, die mir auch heute wieder 269 Kilometer lang scheinen wird, mindestens, ich weiß es. Langsam fängt es an, wehzutun. Meine rechte Fußsohle brennt, und ich weiß, dass ich da ein paar ganz wunderbare Blasen finden werde. Wär ich doch gemütlich gelaufen. Oder? Nö, so ist es auch nicht schlecht. Leider kriege ich auf der Allee keine Endbeschleunigung hin, aber ich schaffe es, mein Tempo zu halten. Los, Hase, noch zwei Kilometer, lass nicht nach, ja, jetzt tut es weh, aber es ist gleich vorbei. Oh Mann, wie ich den letzten Kilometer eines HMs immer hasse - es tut einfach immer weh, hallo Kotzgrenze, NIE werde ich einen Marathon auf Zeit laufen, das schwöre ich mir in diesem Moment, und dann laufe ich durchs Ziel und schaue auf meine Uhr und könnte jodeln vor Freude.
Meine Uhr sagt 2 Stunden, 2 Minuten!! Ich habe meine Semur-Bestzeit von 2:03 tatsächlich verbessert! Das gibt mir einen solchen Kick, 2:02 bei diesem bergigen Profil ist wirklich nicht ohne, ich möchte hüpfen und freue mich und möchte meinem Charly um den Hals fallen und ihn mit Wimperntusche beschmieren. Ich denke an den Semur-HM vor einem Jahr, wo ich alles andere als gut drauf war und die 2:10 als einen einzigen Kampf empfunden habe, und dann sowas!
Ich freu mich, ich freu mich und ich bin stolz auf mich.

Noch für die Statistik: das war mein 8. Halbmarathon insgesamt, und von diesen acht HMs bin ich nur einen einzigen, nämlich den ersten, nicht im Burgund gelaufen - ich bin wohl halbmarathonmäßig eindeutig etwas burgundlastig.

Meine allgemeine HM-Bestzeit (also nicht aus Semur, sondern auf flacher Strecke) liegt bei 1 Stunde, 58 Minuten.
Aber da geht doch bestimmt auch noch was runter, oder? ;-)

Und das hier ist für Charly:
Mein Schatz, eines habe ich mir heute ganz fest geschworen. Nächstes Jahr - egal wo wir dann sind oder was auch immer dann ist - laufen wir den Semur-HM zusammen. Da nimmst du dir frei, egal wie. Am besten trägst du das gleich morgen ein in den Urlaubsplan. Das kann einfach nicht sein, dass du den nie mitläufst. Das ist nämlich der schönste aller Halbmarathons. OK?
There are six billion people in the world, more or less - but you're the one I love the most of all.

18 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Deim Eintrag gibt mir wieder so richtig Hoffnung für Frankfurt. Ich freue mich riesig für Dich, dass du einen so schönen Lauf hattest und dazu noch eine klasse Zeit erreicht hast.
Es sind diese Tage die in Erinnerung bleiben !

Hase hat gesagt…

Danke Martin, das ist lieb von dir :o)
Frankfurt wird SUPER!!!

Anonym hat gesagt…

hallo KerstinSUPER bin gleich im Geiste mitgelaufen so schön hast du geschrieben "also Griechenland das wird Spitze "
wünsche euch dafür alles Gute und mach weiter so ,fühle dich von mir umarmt
Gruß margarete

Anonym hat gesagt…

wow - bin ich stolz auf dich mein Kind, auf deine Disziplin, auf deinen Lauf, auf deine Sprache, überhaupt darauf, daß es dich gibt!
Mama

Und - eine schönere Liebeserklärung wie die für deinen Charly gibt es einfach nicht :-)))

PADRE hat gesagt…

Hallo Kerstin,
herzlichen Glückwunsch. Tolle Leistung nach Berlin. Da kommt ja allemal auch noch die mentale Seite mit ins Spiel. Toll gemacht.
Und was Du neulich geschrieben hast: Würzburg, Lauda, Freiburg... Da habe ich ja ebenfalls viele schöne Erinnerungen.
Lass es Dir gut gehen und den HM richtig schön nachklingen.
Grüßle
Fritz-Norbert

Anonym hat gesagt…

Mein Schatz, ich bin so stolz auf dich. Nach Berlin ist doch so ein toller HM vor der Haustür, der so toll läuft einfach ein Traum.
Ich freu mich so, dass du so happy bist. Denn nur wenn du glücklich bist, bin ich es auch.
Nein es gibt keine schönere Liebeserklärung
Ich hab dich auch lieb mein Herz

Brownie hat gesagt…

Ich bin beim Mitlesen richtig kurzatmig geworden, so rasant war das. Klasse Lauf, atemberaubender Bericht, einfach nur gut!

Anonym hat gesagt…

Aha, Hase kann auch schnell rennen! Interessant! Und das sogar über 21 km. 10 km sind übrigens viel kürzer. Ich schlage vor, Du suchst Dir einen Lauf aus, bei dem gleichzeitig 5 km gelaufen (und gestartet) werden. Du wirst sehen, das mit Sub 50 klappt dann schon. ;-)

Nö, nö, schon gut gemacht. Mich freut vor allem, dass damit wohl das "Negativ"-Erlebnis von Berlin vergessen ist. Du hast noch Spaß beim Laufen, das ist wohl die wichtigste Erkenntnis.
Erhol Dich gut und genieße das tolle Gefühl.

Kerstin hat gesagt…

Herzlichen Glueckwunsch zur neuen Bestzeit! Sieht so aus, als staende dieses WE ueberall unter einem besseren Stern was Langstreckenlaeufe und Spass dabei angeht.
Ein schoener Bericht, der beweist, dass schnell nicht unbedingt schrecklich bedeutet ;-) So wie bei meinem Lauf gestern langsam nicht unbedingt langweilig...
Viele Gruesse aus Florida

Anonym hat gesagt…

Hase ist ein Rase-Hase :o)

Herzlichen Glückwunsch!

Hase hat gesagt…

Ach, danke, ihr Lieben alle!
Ihr seid süß!
Ich freu mmich, dass ihr euch mit mir freut!

Jetzt möchte ich rein zur Vollständigkeit halber aber doch unbedingt noch anmerken, dass diese 2:02 nur meine SEMUR-Bestzeit ist und nicht meine allgemeine HM-Bestzeit!
Die liegt bei 1:58.
Aber da geht auch noch was runter, oder?! ;-)

José hat gesagt…

Wow, Hase! Herzlichen Glückwunsch! Das nenne ich Kampfeslust!

Viele Grüße, José

Blumenmond hat gesagt…

Ach Kerstin, so schön - hättest Du das an Deinem Berlin-Marathontag gedacht? Wahrscheinlich nicht, oder? Um so schöner, dass es so gut geklappt hat und Du vor allen Dingen Freude am Lauf hattest. Ich freue mich für Dich.

Anonym hat gesagt…

Heya, Frau Hase,

super gemacht, freue mich, dass Du wieder richtig gut drauf bist und ein Erfolgserlebnis hattest, Du sprühst vor Lebensfreude - schööööööööööööööön, und ich glaube, Du wirst mich jetzt auch verstehen !!

Sonnige Grüße

Anonym hat gesagt…

Nun aber auch an dieser Stelle: Hase, Du bist hart im Nehmen! Unsereins hegt und pflegt sich, Hase rennt den Semurer Halbmarathon in Hausbestzeit - Respekt und Glückwunsch!!!
Viel wichtiger als die Zeit ist aber wohl wirklich, dass der Genussfaktor diesmal stimmte. Und alles zusammen macht Deinen Lauf einfach perfekt!
Liebe Grüße von
Manu

michi hat gesagt…

Hallo Kerstin,
ich bin mal wieder gaaaanz spät dran, sorry. Jedenfalls freue ich mich, dass der HM so toll gelaufen ist für Dich und Du jetzt wieder positiv eingestellt bist nach dem M in Berlin. Der Bericht klang ja alles andere als fröhlich. Aber Du hast Dich durchgekämpft, das finde ich wirklich beachtlich!

Inliner finde ich eine gute Sache, würde ich auch gerne mal ausprobieren, aber ich müsste mir erst mal eine Stelle zum Üben suchen, wo mich keiner sieht ;-)

Hase hat gesagt…

Ja Michi, gibts dich auch noch! Schööön ! :o)
Das mit dem Inlinern lernt man gaaanz schnell. Ich hätte ca. 5 Minuten so einen Ort gebraucht, wo mich keiner sieht. Und dann gings schon ganz prima :)
Leider gibt es in Semur kaum bis gar keine Stellen, wo ich die Dinger wirklich gut nutzen kann.

GRAS.GRUEN hat gesagt…

katie melau ... just like heaven.. ist auch toll ;-))
respekt zur zeit !!!