Sonntag, 9. September 2007

Weniger ist mehr.

Während die anderen Mitglieder unserer Berliner Stirb-Langsam-Truppe heute garantiert wieder am Streben waren, dass alles zu spät ist, bleibe ich meinem ganz persönlichen Hasenmotto treu: weniger ist mehr. Denn - ich will ja nicht alle Reserven schon vor Berlin verpuffen, nicht wahr? Und so bin ich heute schlappe 22 km gelaufen, nicht viel mehr als einen guten Halbmarathon, und hebe mir den einzigen wirklichen wahren 30er für nächstes Wochenende auf. So mach ich das. Das ist mein ganz persönlicher Hasen-Trainingsplan, der ist durchdacht, präzise und kompakt, und der ist gut. Ich steh da voll und ganz dahinter.

(OK, ich verrate euch, was wirklich los ist. Ich habe einfach eine völlig irrationale Heidenangst, dass mir vor Berlin doch noch eine Verletzung dazwischenkommen könnte, meine beliebteste Horrorversion ist die Achillessehne, und deswegen sag ich mir, weniger ist mehr. Und überhaupt hat vor meinem ersten Marathon auch ein einziger Dreißiger gereicht, warum sollte es diesmal anders sein? Und überhaupt, Finger weg von meiner Paranoia, das singt auch Sven Regener, und der hat nun wirklich immer recht. Trotzig mit dem Fuß aufstampf. Und Klammer zu.)

Heute wollte ich mal wieder mir noch unbekanntes Terrain erhoppeln, und ursprünglich sollte es heute nach Arnay-sous-Vitteaux gehen, wo es unheimlich schön sein muss. Dank Running Ahead hab ich mir eine schöne Route von 23 km ausgetüftelt und mir dann so zum Spaß auch mal die Höhenmeter ermitteln lassen. Diese Höhenmeter-Zahlen sind ja immer mehr oder weniger chinesisch für mich, aber - 400 Höhenmeter auf 23 Kilometer? Das kam mir dann doch viel vor. Das ist viel, oder? Diese Zahl hat mich zumindest so weit abgeschreckt, dass ich mir eine völlig neue Route ausgesucht habe, denn wir laufen nun mal in Berlin, und Berlin ist flach! Was soll ich denn da mit meinem ganzen Höhentraining? Bringt doch nix, da mach ich mir höchstens kurz vorher noch die Achillessehne kaputt....... ooops, haaalt, stopp, böses Gedankengut, sowas darfst du nicht mal denken, Hase, und doch begleiten mich genau diese Gedanken auf Schritt und Tritt!! Schlimm ist das.
Aber ich weiche ab.

Meine Wahl fiel dann auf eine Route im Forêt de St. Jean, das ist ein Wald, der im benachbarten Département Yonne liegt, im Ausland sozusagen, und den ich noch nicht kannte. Diese Route hatte immerhin auch 250 Höhenmeter auf 22 km, aber das ist immer noch besser als 400, und überhaupt renne ich euch in Berlin allen davon, aufgrund meines durchdachten (!) und präzisen (!) und kompakten (!) Höhentrainings.
Haile Gebrselassie, zieh dich warm an.

Vom Lauf selber gibt es eigentlich nichts Besonderes zu berichten, außer dass er mich durch einen richtig schönen Wald führte, was mein Herz natürlich aufleben ließ, denn ich liebe schöne Wälder. Ich habe meinen IPod von vornherein im Auto liegengelassen und bin die ganzen 22 km ohne Musik im Ohr gelaufen, das war auch mal wieder schön.
Irgendwann musste ich dann rrraus aus dem Wald, versteht ihr mich, und kam in das einzige Kaff Dorf, das auf meiner Route lag, nämlich Châtel-Gérard.

Ich bin in einem Kaff Dorf, ich habe bereits über 15 km in den Pfoten, woran denke ich? Richtig. Ans Trinken. Ich hatte keine Lust, extra einen Umweg zu laufen, um eventuell einen Friedhof zu finden, aber das brauche ich doch auch gar nicht mehr, entwickele ich mich doch zu einer perfekten Wasser-Schnorrerin. Ich sah eine Dame auf einem Balkon. Ich ging auf sie zu und fragte sie freundlich, ob sie ein Glas Wasser für mich hätte. Sie schaute mich völlig entgeistert an, als hätte ich sie gebeten, mir schnell einen Apfelkuchen zu backen, und ich warte hier solange, bis er fertig ist. "Na ja, ein Glas Wasser...", wiederholte ich, schon ganz kleinlaut. Die Dame rollte mit den Augen und sagte, ja, sowas habe sie wohl schon, und während sie ins Haus ging, murmelte sie noch, sie würde mir einfach eine ganze Flasche holen, denn was soll ich auch mit einem "Glas Wasser" machen. Da dämmerte mir erst, dass diese Dame absolut nicht realisiert hatte, dass ich mitten am Laufen war, sie dachte wohl, mein Hobby sei es, sonntags bei mir völlig unbekannten Leuten nach Wasser zu schnorren. Einigermaßen beklemmt stand ich also da und wartete, als aus der Garage des Hauses auf einmal ein Mann erschien, der mich gleich mit einem sehr herzlichen "Bonjour!!" begrüßte. Beim zweiten Blick auf ihn fiel mir auf, dass dieser Mann am Down-Syndrom litt. Und im Gegensatz zu der etwas begriffsstutzigen Dame peilte er die Lage sofort. Er fragte mich, ob ich am Laufen sei und ob ich etwas brauche? Ich entgegnete, dass ich gerne ein Glas Wasser hätte und das die Dame schon gefragt hätte, doch er brüllte sofort ins Haus, "Bring doch mal ein Glas Wasser für diese Läuferin mit heraus!" In dem Moment erschien auch die Frau wieder und sagte zu dem Mann, "was soll ich ihr denn ein Glas Wasser geben, ich gebe ihr lieber gleich eine ganze Flasche." Und noch bevor ich etwas entgegnen konnte, hatte der Mann ihr schon die Sachlage erklärt, "aber schau, die Dame ist doch mitten im Laufen, was soll sie denn mit einer Flasche Wasser? Soll sie die etwa beim Laufen mitschleppen? Sie will doch einfach nur einen Schluck Wasser trinken." Darauf schaute er mich an und sein Blick sagte, entschuldigen Sie bitte ihre Begriffsstutzigkeit. Ich zwinkerte zurück. Inzwischen hatte auch die Frau die Sachlage gepeilt, "ach sooo - Sie laufen? Sie wollen einfach nur ein Glas Wasser?", na, das hat aber auch gedauert!, und sie machte sich erneut auf den Weg, diesmal, um mir ein Glas (!) Wasser zu holen. In der Zwischenzeit unterhielt ich mich mit dem netten Herrn, der wissen wollte, wieviele Kilometer ich denn heute laufe. Als ich ihm sagte, na ja, es werden wohl so um die 22, haute es ihn fast um. Damit hab ich ihn aber so richtig beeindruckt. Er sagte nur, "wow, Sie sind aber kein Faulpelz, was? 22 Kilometer, ich fasse es nicht!" Mittlerweile hielt ich auch mein mir hart erarbeitetes Glas Wasser in der Hand, das die Dame, inzwischen schon sehr viel freundlicher, mir gereicht hatte. Ich trank es aus, bedankte mich nett und lief weiter und musste dann noch eine ganze Weile schmunzeln über diese hochinteressante Begegnung und darüber, wer da jetzt wem die Sachlage richtig erklärt hatte. Nett war das.

Als ich nach knapp 22 km dann wieder am Auto ankam, reichte es mir völlig, keinen Meter hätte ich weiterlaufen mögen.
Was für ein Glück, dass ich das auch nicht musste, was? ;-)

24 Kommentare:

michi hat gesagt…

KHTPdpuk klingt doch gut :-) und ja, 400 Höhenmeter sind VIEL, sehr viel. Was man beim Wassererfragen alles erleben kann ist schon interessant. Freut mich, dass die langen Läufe auch wieder problemlos klappen.

Hase hat gesagt…

KHTPdpuk ? Öhm? Muss ich das jetzt verstehen, Michi? *kopfkratz*

michi hat gesagt…

Eigentlich schon .. hihi
Kerstins Höhentrainingsplan durchdacht präzise und kompakt

Hase hat gesagt…

Aaaaaaah ja - alles klar - watt bin ich aber auch begriffsstutzig *g*

Anonym hat gesagt…

Schöne Wasser-Geschichten !!

Und was den

"Das ist mein ganz persönlicher Hasen-Trainingsplan, der ist durchdacht, präzise und kompakt, und der ist gut. Ich steh da voll und ganz dahinter "

angeht, Du wirst es schon richten, musst keine Angst vor Achilles-Problemen haben, lauf zu, trau Dich, spätestens in Berlin musst Du !!

Anonym hat gesagt…

Ich schmeiss mich ja so weg Hase.
Das ist ja scharf.
Ich stell mir das vor, wie der Mann mit dem Down Syndrom mit den Augen rollt, weil die Frau nix peilt. Lustig.
Du hast den Bericht soooo schön geschrieben, das ist unglaublich.
Du kannst einfach wahnsinnig gut schreiben, ganz ehrlich. Ich bin immer ganz hin und weg von deinen Berichten und man traut sich ja gar nicht zu blinzeln beim Lesen.
Super und lustig und du hast mittlerweile so einen goldigen Humor entwickelt, da könnt ich dich jeden Tag noch mehr fressen.
Das mit dem 'Klammer zu' ist scharf.

Christof hat gesagt…

RunningAhead ist echt klasse !!
Danke für den Tip!

Die Angst vor der Achillessehne kann ich ja gut verstehen.

Gruss,
Christof

GRAS.GRUEN hat gesagt…

ich denke, dass machste genau richtig mit dem training !!
wie schon gesagt, berlin wird dir gefallen - obgleich ja aaa...flach -
also lauf nicht so viel berge rauf und runter ;-))
ps... darf ich dich mal bei mir verlinken ? du schreibsts so schööne laufberichte ;-)

Anonym hat gesagt…

Das war echt riesig - der Mann mit dem down-Syndrom. Toll hast du die Gefühle mal wieder erfaßt mein Hasenkind. Ja, du kannst echt schreiben.......
Mama

Hase hat gesagt…

Liebe Gras.Grün, aber natürlich darfst du mich verlinken, das ist doch gar keine Frage, ich freu mich!

Anonym hat gesagt…

"Während die anderen Mitglieder unserer Berliner Stirb-Langsam-Truppe heute garantiert wieder am Streben waren, dass alles zu spät ist, bleibe ich meinem ganz persönlichen Hasenmotto treu: weniger ist mehr. Denn - ich will ja nicht alle Reserven schon vor Berlin verpuffen..."
Da kann ich nur Matthäus (nein, nicht Lothar) entgegensetzen: "Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, daß er Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat.“

Aber ich will Dir natürlich nicht angst machen. Vor allem, weil ich mich mal wieder köstlich über Deine Eskapaden amüsiert habe. Fährt extra ins Ausland zum Wasser schnorren :-)

Hase hat gesagt…

Pfff, Uli, ich lasse mich doch nicht von einem Streber ins Bockshorn jagen, das hat schon in der Schule nie geklappt ! *ätsch*

Kerstin hat gesagt…

Witzig!
"Klammer zu" kenne ich von Asterix. Hast du das daher?

22km ist doch eine schoene Strecke und wenn man dann noch die Hoehenmeter dazu rechnet (das geht irgendwie mit Pythargoras), dann ergibt sich genau die richtige Laenge fuer einen schoenen Berlin-Marathon.
Uebrigens ist Berlin aber nicht so flach wie man immer denkt.
Wir sind dort Silvester bei einen 10km-Lauf gestartet und der hatte zwei sehr fiese und gemeine Berge mit drin. Aber da geht der Marathon natuerlich nicht her.

Hase hat gesagt…

Danke, dass zumindest du mich beruhigst, Kerstin, und mir nicht Salz in meine Wunden streust so wie unser Oberstreber hier ;-)

Ich kenne zwar fast alle Asterix-Bände ziemlich gut und liebe sie auch sehr (mein liebster ist Asterix bei den Gothen) (heißt der so?), aber das mit dem "Klammer zu" war mir aus Asterix absolut nicht bekannt, nein.

Wann gibt es denn von dir mal wieder was zu lesen, ist ja schon wieder so lange her?
Geht's dir gut?

Anonym hat gesagt…

Hat hier schon irgendwer angemerkt, dass dein messerscharf durchdachter Plan sowas von genial und mit 100%iger Wahrscheinlichkeit bis Sicherheit sowas von aufgehen wird?

Will ich jedenfalls mal ganz feste hoffen - ich hab' nämlich keinen einzigen 30er gemacht und kein Wochenende mehr dafür offen :-O

Und dann noch - um meinem fleißig erarbeiteten Ruf als Madame Oberklugscheisserin gerecht zu werden, ein kleines Zitat aus Wikipedia zum Thema Down-Syndrom:

Teilweise erwerben Menschen mit Trisomie 21 Regelschulabschlüsse, in zunehmendem Maße ergreifen sie Regelberufe in der freien Wirtschaft. Weltweit sind bislang nur Einzelfälle bekannt geworden, in denen sie eine Universität besuchen oder diese erfolgreich abschließen konnten. Zu medialer Aufmerksamkeit gelangten der Spanier Pablo Pineda und die Japanerin Aya Iwamoto: Pablo Pineda besuchte eine Regelschule (unterstützt durch einen Tutor), studierte in Málaga Psychopädagogik (Abschluss 2004) und zuvor hatte er ein Diplom als Grundschullehrer gemacht.

Sprich: Das Down-Syndrom ist oft, ja sogar meist mit unterschiedlich schweren auch geistigen Behinderungen verbunden. Aber eben nicht immer. Und oft sind diese geistigen Beeinträchtigungen auch so leicht bis nur mittelschwer, dass Betroffene bei frühestmöglicher Förderung und Ausbildung ein ganz und gar selbständiges Leben führen können. Früher wurden die meist gar nicht erst ausgebildet und gefördert. Weil sie so relativ "blöde" aussehen und nicht so alt wurden. Die körperlichen Beeinträchtigungen sind nämlich meist viel erheblicher (Herzschäden, Deformierungen etc.) können heute aber zu einem großen Teil auch operativ behandelt werden [/klugscheiss] (also: für heute, nicht generell. Wo kämen wir da hin ... ;-)

Kerstin hat gesagt…

Ich hab keine Zeit zum Schreiben, muss laufen!

Nein, im Ernst, der Halbmarathonbericht ist raus und ziemlich lang geworden.

Anonym hat gesagt…

Hi Hase,

nun lese ich schon wieder mit einem Tag Verspätung Deinen Bericht, gestern hab' ich den nicht gesehen. Hatte wahrscheinlich auf Dein Blog geklickt, als der noch nicht online war - denn reinschauen tu ich ja immer, meistens sogar mehrmals:-) Man muss ja schauen, was in Frankreich und im Allgäu und überhaupt so passiert;-)
Ich kann Deine Gedanken bzgl. plattlaufen oder noch ne Verletzung einkassieren sehr gut nachvollziehen. Diesmal habe ich diese Angst nicht (dafür halt die Sorge, anderweitig krank zu werden, Erkältung, Seuche, irgendsowas), aber vor Duisburg! Da dachte ich nämlich, toll, Du bist in "Frühform" und wenn's gilt, biste platt. War ja zum Glück nicht so, aber befürchtet hatte ich es.
Ich habe vor einigen Marathons nur einen 30er gemacht, und bin angekommen - in Berlin musst Du doch eh nicht laufen, sondern wirst von der Stimmung getragen:-)
Ach ja, und ansonsten schließe ich mich Charly einfach mal an : Deine Schreibe ist total gelungen! Hab' mich sehr amüsiert, Du bringst das so bildhaft rüber!

Hase hat gesagt…

@ Lizzy: *knutsch*
Auf welchen Marathon bereitest du dich eigentlich vor? Sorry, aber da ist mir wohl irgendwas entgangen *oops*.

@ Manu: auch *knutsch*

Muss ich nu extra erwähnen, dass es mir heute hervorragend geht und mir natürlich rein gar nichts wehtut?
Ich werde aber nächstes WE vor dem Dreißiger wieder ganz genau die gleiche Angst haben, das weiß ich jetzt schon.
Und das ist irgendwo sehr schade, denn diese Angst versaut mir meine schöne Marathonvorbereitung, die ich doch eigentlich genießen will.
Wie schaff ich es nur, den Kopf, der mir einen solchen Unsinn einreden will, auszuschalten?
Hat da irgendjemand einen heißen Tipp?

Anonym hat gesagt…

Eine lustige Wassergeschichte. Bald bist Du sicher überall bekannt...:-)

Angst: Versuch einfach nicht daran zu denken. Oder denk an Charly, damit vertreibst Du Deine negativen Gedanken.

Jana hat gesagt…

Hallo Kerstin!

Auch mein Kommentar kommt verspätet. Ich glaube fast, du machst dir zu viele Gedanken um deine Füße, Beine u.s.w. vielleicht liegt das auch an Charlys Verletzung, oder deinen letzten Beschwerden.
Ich habe seit Jahren Schmerzen in der Achillessehne, die beiden stimmen sich auch ab...mal die eine, dann wieder die andere Seite.
Am Wochenende merkte ich erst nach dem Zieleinlauf, dass meine Schmerzen ganz anderer Natur waren und meine treuesten Begleiter 62km lang ruhten :-)

Du schaffst das! Was du hast nennt sich Lampenfieber.

PS: deine Wassergeschichten sind köstlich!

Anonym hat gesagt…

Auf welchen Marathon bereitest du dich eigentlich vor?

Auf den:

Gardasee


(aber natürlich ist das eigentlich Urlaub und deshalb kein Grund für irgendwelche Nervosität ;-)

Hase hat gesagt…

Boah, Lizzy, das wird ja bestimmt wunderschön! Landschaftlich muss der ja ein absoluter Traum sein, oder?
Da biste mit meiner "weniger ist mehr-Vorbereitung" aber mal so richtig gut vorbereitet ;-) denn so einen Marathon muss man eh genießen und darf ihn nicht auf der letzten Rille laufen, das wär ja schade drum.
Da freu ich mich aber jetzt schon auf deinen Bericht *trippelhasi* !

Blumenmond hat gesagt…

Uff, so viele Kommentare, dauert ja länger, die zu lesen als den schönen Bericht.

Ich war auch hier!!!

Hase hat gesagt…

Schööön, dass du auch hier warst, Anja!! *winkwiewild*