Donnerstag, 17. Dezember 2009

Depression

Ich mag mich jetzt nicht mehr damit verstecken und mache es öffentlich.
Ich nenne es beim Namen, so wie es ist.
Ich habe eine Depression.

Eine Depression ist eine Krankheit. Man kann sie behandeln und heilen.
Ich bin nicht verrückt, und ich habe auch nicht versagt.
Das muss ich mir immer wieder sagen, damit ich den Mut und die Hoffnung nicht verliere.
Depressionen werden oft, so gut es eben geht, vor dem Umfeld verheimlicht. Bei einem Beinbruch oder einer Grippe käme wohl kaum jemand darauf, daraus ein Geheimnis zu machen, aber Depressionen sind nach wie vor nicht wirklich 'salonfähig', auch wenn sie eindeutig als eine Krankheit eingestuft werden.
Der Fall Robert Enke hat der ganzen Nation gezeigt, wozu eine Depression im Extremfall führen kann.... und fast niemand hatte eine Ahnung, was mit ihm los war.
Deswegen habe ich keine Lust, länger damit hinterm Berg zu halten und fröhlich so zu tun, als sei alles in bester Ordnung.

Im Folgenden einige typische psychische Symptome der Depression (die ich auch an mir beobachten kann): eine innere Leere, die man mit dem 'Gefühl der Gefühllosigkeit' beschreiben kann; Mangel an Antrieb und Interesse; Selbstvorwürfe; mangelndes Selbstwertgefühl; negative Bewertung der eigenen Person, ihres Wertes für andere und sich; Gefühl von Wertlosigkeit, Versagen; Gedanken von Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, von Überflüssig- und Wertlossein; allgemeiner Pessimismus; Gedanken von Nichtkönnen, Insuffizienz und Minderwertigkeit.....

Irgendwie schafft man es meist, im Arbeitsleben zu funktionieren. Man hält den Schein aufrecht. Man lächelt und tut so, als sei alles in bester Ordnung. Aber wie es wirklich im Inneren eines Depressiven aussieht, das weiss niemand. Weil die meisten gar nicht einmal ahnen, dass man depressiv ist. Woher auch?
Ich bin nicht der fröhliche und immer lächelnde Hase, für den mich alle halten. Und ich will auch nicht mehr so tun, als wäre ich das. Nein. Ich habe eine Depression.

Ein typisches körperliches Symptom meiner Depression sind bei mir meine immer wiederkehrenden, physiologisch nicht erklärbaren Rückenschmerzen. Mittlerweile glaube ich der Diagnose meiner Therapeutin, die mich nun schon seit vielen Jahren kennt: es handelt sich hierbei bei mir um ein reines 'Somatisieren', will heissen, meine seelischen Abgründe machen sich bei mir u.a. durch diese Rückenschmerzen bemerkbar. Das war bei mir schon immer so. Ging es mir seelisch nicht gut, tat mir kurz darauf der Rücken weh. Man will das dann im konkreten Fall nur immer nicht wahrhaben, weil diese Rückenschmerzen so verdammt real und konkret sind und so unheimlich WEH TUN.... aber psychosomatische Schmerzen sind nicht weniger 'real' im Empfinden als andere, es lassen sich nur eben keine konkreten körperlichen Ursachen dafür finden (weswegen ich manchmal schon gedacht habe, ich bin echt verrückt).

Nachdem es mir in den letzten Monaten mit dem Rücken wieder einigermassen gut ging, sind vor zweieinhalb Wochen beim Laufen urplötzlich wieder 'neue' und sehr starke Rückenschmerzen aufgetreten - aus heiterem Himmel, völlig ohne ersichtlichen Grund. Sie fühlen sich ähnlich an wie die 'Inlinersturzschmerzen', sind aber auf der anderen Seite. Und sie sind so penetrant, dass ich nicht einmal schmerzfrei gehen kann, an Laufen ist seitdem nicht mehr zu denken. Der Orthopäde und zwei Physiotherapeuten haben mir versichert, dass nichts geklemmt oder verrenkt sei, nein, auf rein körperlicher Seite sei alles in Ordnung.
Das ist ein ganz gemeiner Teufelskreis: das, was mich aus den echten Tiefs dieser Depression immer ein bisschen herausholen kann, ist mein geliebtes Laufen.... ich kann aber nicht laufen, weil mir aufgrund der Depression der Rücken wehtut.... im Moment kann ich nicht einmal spazieren gehen.
Aber das nehme ich jetzt im Moment einfach so hin, alles Lamentieren nützt nichts, ich kann es sowieso nicht ändern.

Ich erwarte hier auch um Himmels Willen keine Mitleidsbekundungen oder ähnliches. Ich hatte nach ein paar Tagen der absoluten Niedergeschlagenheit und Verzweiflung einfach nur das Bedürfnis, einfach einmal alles aufzuschreiben und nicht mehr länger zu verstecken, was mit mir los ist.

Ein weiteres Tabuthema diesbezüglich ist die Einnahme von Medikamenten / Antidepressiva. Viele sehen die Medikamenteneinnahme auch als Unfähigkeit an, sein Leben 'ohne' auf die Reihe zu bekommen.
Ich nehme mich da auch gar nicht aus.
Die Haltung ist wohl verständlich.... aber dennoch zu hinterfragen.

Sie hängt (das vermute ich zumindest) mit der Stigmatisierung von psychischen Krankheiten zusammen. Als ob es sich um eine Charakterschwäche handeln würde. Die Einnahme der Medikamente wird sozusagen als Eingeständnis gesehen, nicht 'normal' zu sein.
Man wird aber nicht 'normal' bzw. gesund, bloss weil man um keinen Preis wahrhaben möchte, dass etwas nicht stimmt.
Krankheitseinsicht und Akzeptanz sind ganz notwendige Schritte auf dem Weg zur Genesung. Beide entlasten auch - irgendwie.

Es ist doch viel angenehmer, sich sagen zu können, 'OK, ich bin krank geworden, das ist ziemlich beschissen. Dafür gibt es aber sehr gute Heilungschancen. Das sind die Symptome, das sind die Ursachen, so und so könnte der Weg aussehen, um wieder in den Alltag zurückzufinden und damit zu leben' als 'Ich bekomme nichts auf die Reihe, ich bin faul / eine Versagerin / eine Niete ..., ich muss mich mehr bemühen, alle anderen schaffen es doch auch irgendwie'.

Wenn ich mich nun aber weiterhin quäle und mich wehre und keine Medikamente nehmen will, weil ich dann denke, dass ich versage, mache ich es mir unnötig schwer. Das ist ungefähr so, als ob ich weiss, dass ich kurzsichtig bin, und meine Brille nicht aufsetzen mag.

Eine Depression ist eine Krankheit. Man kann sie behandeln und heilen.
Und ich komme da wieder raus. Ich habe es jetzt akzeptiert, dass es so ist, und das ist der erste wichtige Schritt.
Ich werde nun definitiv all die Hilfe in Anspruch nehmen, die mir dabei am besten wieder heraushelfen kann. Auch wenn es dauert und u.U. ein schwerer und mühsamer Weg wird. Ich schaffe das. Noch dazu habe ich das Glück, auf die volle Unterstützung meines Partners und meiner Familie zählen zu können.

Und damit sich das alles hier nicht nur restlos niederschmetternd liest, hier zum Schluss noch eine schöne Nachricht: ich habe endlich kapiert, dass mein Leben so alleine hier in Frankreich einfach keinen Zopf mehr hat. Ich werde in ein paar Monaten zu meinem geliebten Charly ins Allgäu ziehen, wo ich eigentlich schon lange hingehöre.